Hawaiianische Passagiere

Sag Hallo zu Euprymna scolopes

Die besonderen Passagiere der Commercial Resupply Mission SpX-22 die ich Ihnen heute vorstellen möchte, heißen offiziell Euprymna scolopes, sind guten Freunden aber als Hawaiian bobtail squid bekannt – Hawaiianische Zwergtintenfische. Wenn sie nicht gerade im Namen der Wissenschaft ins All fliegen, leben sie meist in den flachen Küstengewässern vor den Hawaii-Inseln und der Midway-Insel – sie sind also im zentralen Pazifik beheimatet.

Zwergtintenfische haben acht Arme mit Saugnäpfen und zwei Tentakeln. Wie Tintenfische bewegen sie sich entweder mittels der Flossen an ihrem Mantel oder durch Rückstoß fort. Es gibt sie in verschiedenen Arten und Größen, aber sie sind im Allgemeinen recht kleine Tiere. Die Passagiere der CRS-22 erreichen eine Mantellänge von bis zu 30 mm (der Mantel ist der Hauptkörper des Tintenfisches). Wenn sie schlüpfen, wiegen sie etwa 0,0005 g. Ausgewachsene Tiere wiegen bis zu 2,67 g.

Sie sind also winzig und sehen niedlich aus. Aber warum schickt man sie ins All? Weil diese Winzlinge eine Beziehung haben, die sie für Wissenschaftler interessant macht, wenn sie die positive Symbiose von Tieren und Mikroben erforsche wollen. Bobtail-Tintenfische sind Jäger, in freier Wildbahn ernähren sie sich von Krabben. Und sie geben Bakterien in ihrem Mantel ein zu Hause, die ihnen bei der Jagd eine Tarnung verschaffen.

Tarnbakterien

Hawaiianische Bobtail-Tintenfische haben eine symbiotische Beziehung zu den biolumineszenten Bakterien Aliivibrio fischeri. Die Tintenfische bieten ihnen in einem speziellen Organ in ihrem Mantel einen eigenen Lebensraum, füttern sie mit Zucker und einer Aminosäurenlösung. Im Gegenzug leuchten die Bakterien, was die Tintenfische von unten betrachtet vor ihrer Beute verbirgt, da die Biolumineszenz dem Sonnenlicht von oben entspricht.

Hawaiian Bobtail Squid (Baby)
Hawaiian Bobtail Squid (Baby) – Bild techshot

Diese hilfreichen Bakterien müssen natürlich irgendwo herkommen. Glücklicherweise leben sie im Meerwasser in Hülle und Fülle. Sobald ein Tintenfisch geschlüpft ist, beginnt er also damit, das umlaufende Meerwassers durch seine Mantelhöhle zu ventilieren. Jeder Durchlauf mit etwa 2,6 ml Meerwasser bringt eine einzelne A. fischeri-Zelle in das Organ. Der Tintenfisch wiederholt das etwa einmal pro Sekunde. Dadurch, und durch glücklich sich vermehrende Bakterien, die mit Zucker gefüttert werden, steigt die Zahl der leuchten Bakterien, bis das Organ innerhalb von etwa 10 – 12 Stunden nach dem Schlüpfen gefüllt ist.

Dieser Vorgang ist recht gut untersucht und hat sich als ein gutes Modell für die gegenseitig vorteilhafte Partnerschaft von Tier und Bakterium erwiesen. Wir Menschen sind ebenfalls in vielen Fällen auf bakterielle Dienste angewiesen. Bisher wurden mehr als 2000 Bakterienarten idnetifiziert, die mit dem Menschen in Verbindung stehen. In unserem Darm zum Beispiel helfen uns die Bakterien, indem sie bestimmte Vitamine synthetisieren. Und wie Tintenfische erwerben wir unsere kleinen Helfer nach der Geburt (oder einige von ihnen offenbar während der Geburt). Wir können also eine Menge von den hawaiianischen Bobtail-Tintenfischen lernen. Aber warum schickt man sie ins All?

Warum in den Weltraum?

Wir wissen, dass unsere symbiotische Beziehung zu bestimmten Mikroben, unser Mikrobiom, wichtig für unser Wohlbefinden ist. Und wir wissen auch, dass die Mikrogravitation einen Einfluss auf die Interaktion zwischen Tieren und Mikroben hat. Es gab schon einige Forschung zu den 100 Arten, die als menschliche Krankheitserreger bekannt sind. Aber nun braucht es auch Studien über die nützlichen Tier-Mikroben-Interaktionen.

Jamie Foster, Principal Investigator, ADSEP-UMAMI (Understanding of Microgravity on Animal-Microbe Interactions experiment), beschreibt das Experiment während eines What's On Board Science Briefings am 2. Juni 2021 im Kennedy Space Center.
Dr. Jamie S. Foster – Bild: NASA.

Nun ist es Zeit, unseren zweiten Helden vorzustellen: Jamie S. Foster, Ph.D.. Sie ist Professorin in der Abteilung für Mikrobiologie und Zellwissenschaften an der University of Florida. Ihre Forschung dreht sich um das Verständnis, wie Mikroben miteinander und mit ihrer Umgebung interagieren. Und da Mikroben eine wichtige Rolle bei der normalen Entwicklung von tierischem Gewebe spielen, untersucht eines der Forschungsprojekte ihres Labors die Auswirkungen der Mikrogravitation auf die normalen Entwicklungsinteraktionen zwischen einem tierischen Wirt und einem bakteriellen Symbionten. Dafür sind Euprymna scolopes und ihr Träger, das Leuchtbakterium Vibrio fischeri, ein hervorragendes Modell.

Jamie Foster arbeitet nun schon seit 28 Jahren mit dem Bobtail-Tintenfisch, wie sie anmerkte. Und sie hat sie tatsächlich schon vorher in den Weltraum geschickt. Ein kleines Pilotexperiment flog mit STS-134 – der vorletzten Shuttle-Mission, und nochmal mit der letzten Mission des Space Shuttle, STS-135. Auf der Webseite ihres Lab kann man sich einen wunderbaren kurzen Film über die Missionen ansehen.

Und jetzt durften die Tintenfische wieder fliegen – diesmal mit der SpaceX Dragon.

Und wie soll das gehen?

techshot Kassette mit Zwergtintenfisch Zuchtbeuteln
techshot Zwergtintenfischkassette – Bild: techshot

Dr. Foster und ihr Team wollen die Auswirkungen der Schwerelosigkeit auf die molekularen und chemischen Wechselwirkungen zwischen nützlichen Mikroben und ihren tierischen Wirten untersuchen. Dazu untersuchen sie, wie sich die fehlende Schwerkraft auf den Vorgang auswirkt, mit dem Bobtail-Tintenfische nach dem Schlüpfen ihre nützlichen, mikrobiellen Partner erwerben.

Der Trick besteht also darin, frisch geschlüpfte Bobtail-Tintenfische ins All zu bringen und sie dann langsam an die Mikroben heranzuführen. Beim Start waren sie in einem Zustand namens Paralarvae, was bedeutet, dass sie geschlüpft, aber noch nicht erwachsen sind. Sie reisen in der ADvanced Space Experiment Processor (ADSEP) Hardware von Techshot, einem Unternehmen, das schlüsselfertige Raumfahrtausrüstungen entwickelt und Flugintegrationsdienste anbietet. Das ASEP initiiert und beendet automatisch die Experimente an Bord des Dragon-Raumschiffs, sobald es an die Internationale Raumstation (ISS) angedockt hat.

techshot ADSEP Schließfach geöffnet
techshot ADSEP Schließfach geöffnet – Bild techshot

Das ADSEP hat zwei Fluid Processing Cassettes (FPC) mit etwa 8 Kulturbeuteln, die jeweils bis zu acht Paralarven enthalten. Die Paralarven in der einen Kassette, der SYM-Kassette, werden mit gefiltertem Meerwasser, das 10.000 Zellen/mL des symbiotischen V. fischeri enthält, beimpft und 12 Stunden lang inkubiert. Die Paralarven der zweiten Kassette – der APO-Kassette – bekommen nur gefiltertes Meerwasser ohne Bakterien, um eine aposymbiotische Kontrolle zu erhalten, d.h. eine Population ohne Mikroben. Um eine Zeitleiste zu erhalten, wird bei den Experimenten in beiden Kassetten RNAlater in die Beutel injiziert, um das Experiment zu beenden und die Paralarven bei 0 Stunden, 2 Stunden, 6 Stunden und 12 Stunden nach der Inokulation einzuschläfern.

Sobald dies beendet ist, bringt die Besatzung die im RNALater konservierten Proben bis zur Rückkehr zur Erde in einem -80°C kalten Stauraum unter.

Heimflug

CRS-22 startete am 3. Juni 2021, was bedeutet, dass die Tintenfische wahrscheinlich bereits eingefroren sind als dieser Artikel geschrieben wurde. Die Mission wird voraussichtlich 40 Tage dauern. Am 6. Juli soll die Dragon-Kapsel zur Erde zurück kehren. Die ISS im Moment ein recht beliebter Ort ist und die Docking-Plätze eher früher als später knapp werden könnten. Ab dem 5. Juni 2021, waren fünf Raumschiffe an der ISS angedockt: : die SpaceX-Schiffe Crew Dragon und Cargo Dragon, das Northrop Grumman Cygnus Frachtschiff, sowie das russische Sojus MS-18-Besatzungsschiff und die ISS-Versorgungskapsel Progress 77. Und am 30. Juni ist die Progress 78-Versorgungskapsel von Baikonur aus gestartet.

Die konservierten Proben werden an Bord der SpaceX-Dragon (zusammen mit der FPC/ADSEP-Hardware) in einem Kältestauraum von der ISS bei -20 °C zur Erde zurückgebracht. Nach der Landung im Atlantischen Ozean in der Nähe der Ostküste Floridas werden die Probenbeutel bei -80°C im Gefrierschrank gelagert, bis die Leute von Techshot die Proben abholen und sie an Dr. Foster im Space Life Science Lab am Kennedy Space Center (KSC).

Hier werden die konservierten Gewebe auf molekularer Ebene untersucht, um zu prüfen, wie sich das Transkriptom, also alle zu einem bestimmten Zeitpunkt exprimierten Gene, in der Weltraumumgebung unter An- oder Abwesenheit ihrer symbiotischen Bakterien verändert haben. Ein weiterer Schritt, um zu verstehen, wie sich diese wunderbar komplexen Systeme namens Tier unter den Bedingungen verhalten, für die sie die Evolution nicht vorbereitet hat.